Never be afraid of change

Never be afraid of change

https://vimeo.com/340621777

Die Suche nach sich selbst, der persönlichen Erfüllung, dem eigenen Glück. Sie ist es, die eine ganz besondere Art des Mutes erfordert. Eine Art des Mutes, die es ermöglicht Veränderungen anzugehen, sie durchzuziehen und auszuhalten. Veränderungen verlangen, den vorgezeichneten Weg zu verlassen, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben, um ihn zu finden – diesen einen Pfad, der für sich bestimmt ist.

Anke Esser hat sich auf die Suche nach eben diesem Pfad begeben. Die 29-jährige lebt seit Beginn 2018 im kenianischen Läufer-Mekka Iten, um dort ihren großen Traum zu verfolgen – eine Karriere als professionelle Läuferin. Im Leben der Spätstarterin sah es lange Zeit nach einem völlig anderen Weg aus. Als Teil einer reitsportbegeisterten Familie wurde ihr Leben lange Zeit durch die Liebe zu Pferden bestimmt. Die Freude, Leidenschaft und ihr ungemeines Talent für den Laufsport setzten sich jedoch am Ende durch. Beim Berlin-Marathon 2018 konnte sie als schnellste Deutsche mit 2:48:53 Stunden auf sich aufmerksam machen. Im Interview gibt die inspirierende Athletin tiefe Einblicke in ihr Leben in Kenia, spricht über ihre Selbstfindung in der afrikanischen Ferne und lässt erahnen, dass mit ihr als Marathonläuferin in Zukunft zu rechnen sein wird. Außerdem ermutigt die gebürtige Münsterländerin Menschen dazu, sich Veränderungen zu stellen, um das Glück dort draußen zu finden...

Marathonläuferin Anke Esser in Kenia

 „Es war berührend, welche Begeisterung die Menschen dort für diesen Sport versprühten.“

Du hast bereits eine beeindruckende Reise hinter Dir. Von der Hobby-Athletin ohne Team und Trainer, zu einer professionellen Läuferin, die für ihren großen Traum nach Kenia ausgewandert ist. Was war der Schlüsselmoment für Deine Entscheidung?

Anke Esser (AE): Die Entscheidung, es mit dem Laufen professionell zu versuchen, ist während meines ersten Besuches in Kenia gefallen, als mich ein kenianischer Trainer vor Ort darauf ansprach, ob ich es nicht versuchen wolle. Allerdings reiste ich zunächst mit einer völlig anderen Intention dorthin. Und zwar für ein soziales Hilfsprojekt, in dem ich sechs Monate als Freiwillige mithelfen durfte. Das Projekt hatte auch einen Standort in der Läufer-Hochburg Iten, wodurch ich erstmals mit dieser einzigartigen Läufer-Blase vor Ort in Kontakt kam. Es war berührend, welche Begeisterung die Menschen dort für diesen Sport versprühten. Aus persönlichem Interesse habe ich mich für ein zweiwöchiges Trainingscamp angemeldet – das war faszinierend. Die Zeit und das Leben in Kenia haben mich so sehr inspiriert, dass mich zurück in der Heimat der Gedanke nicht mehr losließ, es versuchen zu wollen. Ich war ohnehin an einem Punkt in meinem Leben, an dem es Zeit für einen Neustart war. Meinen Job hatte ich gekündigt, mein Studium abgeschlossen. Ich wusste – jetzt oder nie.

Du lebst seit Anfang 2018 in Kenia. Wie kann man sich einen normalen Tag in deinem Leben als Athletin vorstellen?

AE: An einem normalen Tag absolviere ich gegen 6:00 Uhr die erste Laufeinheit. Darauf folgen je nachdem noch ein oder zwei weitere Trainingseinheiten. Hinzu kommt viel Regenerationszeit, sowohl aktiv als auch passiv sowie Mentaltraining. Wenn ich mich dann auch noch um das eigene Essen gekümmert habe, ist der Tag in der Regel sehr gut ausgefüllt. Nebenher lerne ich auch noch die Sprache der Kenianer. Das eröffnet mir weitere Möglichkeiten, die Menschen und die Kultur noch besser kennenlernen zu können. In trainingsärmeren Wochen kommen kleinere Jobs hinzu, die ich aus Kenia für ehemalige Arbeitgeber weiterhin ausführen kann. Andere Athleten fliegen nach Kenia, Südafrika oder Portugal für ihre Trainingslager. Ich habe diese besonderen Trainingsmöglichkeiten durch meinen Standort nun das ganze Jahr über – dafür bin ich sehr dankbar.

Anke Esser läuft in Iten Kenia

Bei einer so strukturierten Lebensweise bleibt sicher einiges auf der Strecke. Oder?

AE: Ich habe großen Respekt vor den festen Strukturen, in die sich viele Athleten begeben, um unter Ausschluss aller Ablenkungen zum Zeitpunkt X topfit zu sein. Mich selbst sehe ich so jedoch nicht. Ich fühle mich wohler und kann noch besser trainieren, wenn ich neben dem Fokus auf mein sportliches Ziel weiterhin die Menschen rechts und links von mir in mein Leben integriere. Die Zeit für wertvolle Momente mit den Nachbarskindern, denen ich täglich begegne, nehme ich mir gern. Ich erachte mich dadurch nicht als weniger fokussiert – im Gegenteil. Erst dieses Miteinander gibt mir die Energie, die mich stärker macht.

Hattest Du zwischenzeitlich große Bedenken, das Richtige zu tun?

AE: Erstaunlicherweise hatte ich diese zu Beginn meiner Zeit in Kenia überhaupt nicht. Dennoch verlief seit dem Beginn dieses neuen Lebensabschnittes auch nicht immer alles sorgenfrei. Gerade in Situationen, in denen das Training nicht so voran geht wie gewollt, oder ich aufgrund kleinerer Verletzungen nicht trainieren kann, vergrößert sich der Spielraum für Bedenken. Ich denke es sind immer die Momente, in denen ich nicht durch das Laufen selbst an meinem Traum arbeiten kann, die es zu überwinden gilt. Akute Zweifel hatte ich aber schon lange nicht mehr, was sicherlich auch daran liegt, dass ich mich inzwischen in Kenia sehr zuhause fühle und angekommen bin.

„Wenn aus Überforderung, Freude und Spaß am Training wird, dann ist der Bann gebrochen.“

Das hohe Trainingspensum beutete sicherlich eine große Umstellung für Dich – sowohl körperlich als auch mental. Wie kommst Du damit zurecht?

AE: Anfangs war die Umstellung für mich sehr groß, da ich vorher nie in diesem Umfang als professionelle Läuferin trainiert habe. Training neben dem Vollzeit-Job und Studium – so sah mein Leben in Bezug auf das Laufen bis dahin aus. Die Umstellung, den nächsten Schritt zu gehen, das Ganze auf ein professionelles Level zu heben und nur noch den Sport im Mittelpunkt zu sehen, hat mich zunächst sowohl körperlich als auch mental einige Zeit gekostet. Hinzu kam: Ich habe nicht allein von Freizeit auf Vollzeit umgestellt, sondern habe alles auch auf 2400 Metern Höhe verlegt sowie von Beginn an mit einer kenianischen Trainingsgruppe trainiert. Das Gesamtpaket war es sicherlich, welches mich enorm gefordert hat. Aber ich wusste, dass wenn ich den Anfang überstehe, ich es auch über einen langen Zeitraum durchhalten kann. In einem Buch habe ich einmal den Satz gelesen „All change is hard at first, messy in the middle, and georgeous at the end”. Das kann ich bestätigen. Wenn aus Überforderung Freude und Spaß am Training wird, dann ist der Bann gebrochen.

Anke Esser läuft

Du formulierst Deine Ziele nicht öffentlich, möchtest stattdessen zukünftig mit Leistung überzeugen. Dennoch: Wie bist Du zur Definition Deines Ziels gelangt und was, wenn Du es nicht erreichen solltest?

AE: Ich halte es für wichtig den Mut zu haben, sich Ziele zu stecken, die zunächst einmal unerreichbar scheinen. Ziele, die einen dazu antreiben, über sich hinaus zu wachsen. Der Glaube an sich selbst ist dabei das Entscheidende, denke ich. Meine persönliche Empfindung: Der Kopf ist am Ende unschlagbar. Sollte ich meine Ziele am Ende nicht erreichen, wäre die Enttäuschung natürlich riesengroß. Aber ich bin mir sicher, dass sie nie größer wäre, als der Frust, der mich mein Leben lang begleitet hätte, hätte ich es nicht zumindest versucht. Jetzt, wo ich dabei bin mein Ziel zu verfolgen, habe ich keine Angst zu scheitern.

„Ich wäre gerne eine Inspiration für Menschen, die sich innerlich nach einer Veränderung sehnen.“

Deine Entwicklung ist sicher eine große Motivation für alle Spätstarter...

AE: Ich hoffe sehr, dass das so ist. Denn ich sehe mich definitiv als Spätstarter. Ich wäre gerne eine Inspiration für Menschen, die sich innerlich nach einer Veränderung sehnen, sich aber nicht trauen, diese in die Tat umzusetzen. Allerdings würde ich eine derartige Umorientierung auch nicht jedem empfehlen. Es kann ganz sicher genauso schön sein, wenn man sich mit seinem Leben innerhalb bekannter Strukturen wohlfühlt. Doch für Menschen, die sich verändern wollen und es nicht tun, weil sie Angst haben die eigene Sicherheit aufzugeben, wäre ich gerne ein Vorbild. Ich kann aus Erfahrung sagen, dass wenn man etwas wirklich will und bereit ist, dafür alles zu tun, es sich wirklich lohnt den Schritt ins Ungewisse zu wagen.


Anke Esser in Dämmerung Kenias

Was würdest Du Menschen gerne sagen, die sich vor Veränderung fürchten?

AE: Angenommen, wir befinden uns alle auf einem Lebensweg, dessen Sinn es ist, glücklich und zufrieden zu sein. Ich denke, dass man dies sehr gut erreichen kann, indem man sich die zentralen Fragen stellt: „Wer möchte ich sein?“ und „Was möchte ich machen?“. Sollten sich die persönlichen Antworten auf diese Fragen nicht mit dem Ist-Zustand decken, so ist man denke ich gefordert, den Mut aufzubringen, etwas zu verändern und einen neuen Weg zu gehen. Auch wenn das bedeutet, dass man etwas anders macht als alle anderen. Zufriedenheit im Leben erreicht man meiner Meinung nach nur, wenn man danach strebt, sich selbst zu verwirklichen. Und diese Selbstverwirklichung ist in meinen Augen nur dann möglich, wenn man weiß, wer man sein möchte und wenn man keine Angst hat, Dinge zu verändern. Für mich geht es am Ende nicht nur darum, wo man hinwill, sondern vor allem auch, warum und wie man dort hingelangen möchte. Der Weg an sich und nicht das Ziel allein, ist dann hoffentlich das, was am meisten Spaß macht. Ich habe bisher die Erfahrung gemacht, dass dies am besten gelingt, wenn man sich selbst treu bleibt. Für mich bedeutet das, neben allem sportlichen Ehrgeiz, vor allem zu versuchen, ein guter Mensch zu sein.

Zum Abschluss: Werden wir noch mehr von Dir hören?

AE: Mir macht es totale Freude, Menschen unabhängig vom Sport durch Botschaften in ihren Zielen zu bestärken. Das ist etwas, was mich erfüllt. Zunächst einmal möchte ich aber selbst mehr Erfahrung sammeln und noch mehr lernen. Ich bin sicher, dass da noch so viel mehr kommen wird, was meiner Stimme eine größere Kraft verleihen wird.

Zurück zum Blog